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Archive: No_Blog Beiträge

#23 – Atem und stofflicher Körper – Basics

Atem: Wie wirkt er in unserem Körper? Was bewirkt er? Ist es nicht der erste Atemzug nach der Geburt, der bezeugt, dass wir am Leben sind?

Neben der im Biologieunterricht behandelten Zell- und Lungenatmung, gibt es unzählige Atemtechniken in Sport, Musik, Yoga und allen möglichen Lebenslagen. Daneben gibt es etliche atemtherapeutische Schulen wie u.a. den „erfahrbaren Atem“ von Prof. Ilse Middendorf.
Erstere werden mit einem komplexen Zusammenspiel zwischen verschiedenen Teilen der Muskulatur, die die Ein- und Ausatmung so regeln, dass sie den Bedürfnissen des Menschen angepasst sind, erklärt. Letztere kennen auch die Bauchatmung und beschäftigen sich eher mit der Wechselwirkung von Atem und Geisteszustand, sehen Atem als die Verbindung von Körper und Seele.

Allen gemein und fachübergreifend ist mittlerweile die Erkenntnis: Eine „gute“ Atmung hilft, Stoffwechselvorgänge, Denkvorgänge und viele andere Prozesse aus der Unordnung heraus zu bringen. Im Klartext: Der Prozess des Atmens hat regulierenden Einfluss auf körperliche Ordnungsprozesse. Wenn wir genauer hinschauen, wird erkennbar, dass unsere Atmung sehr eng mit dem sogenannten limbischen System und weiteren Systemen im zentralen Nervensystem verschaltet ist, die für unsere Psyche verantwortlich sind. Wenn du z.B. Schmerzen hast oder wenn du durch Angst oder Freude aufgeregt bist, verändert sich deine Atmung. Durch Biofeedback-Geräte können wir heute deutlich zu sehen, was sich durch eine langsame, tiefe Atmung noch alles im Körper verändert: Der Blutdruck sinkt, das Herz schlägt langsamer, die Muskeln entspannen sich. Aber auch die Veränderungen durch eine schnelle oder unrhythmische Atmung können sichtbar gemacht werden.

Diese Ergebnisse haben untermauert: In letzter Konsequenz hat unsere Atmung mit ihrer Frequenz und Tiefe enorme Auswirkungen auf unser autonomes Nervensystem. Sie beeinflusst, ob dieses im kommunikativen Entspannungszustand oder im angespannten Verteidigungs-/Kampfmodus arbeitet. Und für Kenner der Fachbegriffe: ob eher Parasympathikus oder Sympathikus aktiv ist.

Bis hier bewegen wir uns auf gut erforschtem Wissenschaftsgebiet.

Wenn ich jetzt auf die über „ein sich Atem versenkende“ laufende Transformation unseres stofflichen Körpers in den spirituellen Körper komme, ist die wissenschaftliche Luft sehr, sehr dünn. Aber auch dieses dünne Lüftchen ist schon mit Wissenschaft in Kontakt gekommen. Seit etlichen Jahren erforschen Wissenschaftler die „Köpfe“ von langjährig meditierenden Meistern verschiedenster Meditations-Schulen. Sie entdecken dort immer mehr und immer tiefergehende körperliche Prozesse, die sonst nur im entspannten Tiefschlaf vorkommen.

Einzelne Wissenschaftler begannen selbst zu meditieren und in alte asiatische Traditionen einzusteigen. Mancher von ihnen durchdringt diese alten Konzepte für seine wissenschaftliche Arbeit, andere gaben die Wissenschaft auf und begannen zu atmen. Sagen heute, dadurch bekamen sie einen neuen Körper, den sie nicht für wissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung stellen, da diese (noch) zu grob dafür sei, nicht einmal die passenden Worte habe.

Haben diese Menschen am eigenen Körper erfahren, was der Atem und unser stofflicher Körper wie miteinander zu tun haben? Ich möchte es glauben.

→ Schau, wie weit du dich auf deinen Atem einlassen kannst. Für mich ist unser Atem ist zu komplex, um ihn rein wissenschaftlich und linear erklären zu können. Lass deinen Atem laufen, bis zum letzten Zug.

(c) Grit Silke Thieme

#22 – The rhythm is lost, not the movement

„Der Rhythmus ist verloren, nicht die Bewegung (Beweglichkeit)“ – für mich der wichtigste Satz eines Lehrers in all meinen Ausbildungen.

Das ist für mich jedes Mal, in jeder Einheit wieder, der Schlüsselmoment für das „finde den Fehler“ im System und bei der Frage: Was ist als Nächstes zu tun? Beim Blick auf das Ganze genauso wie beim folgenden Zoomen ins Detail und wieder zurück aufs Ganze um dann wieder in ein anderes Detail zu zoomen. Wer macht am meisten nicht mit? Wer hat schon aufgeholt und stolpert noch ein wenig, ist aber schon viel besser dabei? Wo hängt es noch?
Praktisch würde ich mir dann Fragen stellen wie zum Beispiel: Läuft das Bein in allen Gelenken? Lässt sich ein Gelenk von den anderen oder dem Gewebe herum nur mitnehmen und pausiert? Was ist mit dem Bauch über dem Bein, bewegt der sich mit? Hält er? Wenn ja, wer hält? Organe? Bänder? Faszie? Muskulatur? Knochenstruktur? Wer trödelt rum? Wer rennt vorn? Wer lässt die Nachbarn arbeiten?

Rhythmus ist, ganz einfach gesprochen, regelmäßige Wiederkehr und gleichmäßiger Wechsel während eines zeitlichen Verlaufs. Bekannt vor allem aus der Musik, verwenden wir diesen Gedanken im Sinne von „nicht rund laufen“ auch bei anderen komplexeren Abläufen, z.B. in Getrieben, mechanischen Uhrwerken oder umgangssprachlich für atypische Verhaltensweisen.

Wenn uns Menschen etwas weh tut, schmerzt, klemmt, drückt oder piekst – also nicht so funktioniert, wie wir es erwarten oder gern hätten, denken wir in Kategorien: abgenutzt, geprellt, überanstrengt, eingefroren, geklemmt oder taub. Das beziehen wir dann auf einen mehr weniger gut definierten Körperteil. Wir hoffen auf jemanden, der helfen kann, diesem Teil wieder zu besserem Funktionieren zu verhelfen. Wir suchen Rat und Tat bei Ärzten, Heilpraktikern, Heilern.

Jener oben erwähnte Lehrer – ein brillant schlagzeugspielender, zutiefst von Rhythmusgefühl durchdrungener Experte – schulte unsere Wahrnehmung in Auge, Ohr und Körper für Rhythmus, Rhythmenwechsel und ausbleibende, fehlende Rhythmik. Lies uns in der Gruppe eine Stunde vor Unterrichtsbeginn freiwillig im Beat und Offbeat bewegen. In allen nur körperlich machbaren Schlagfrequenzen. Das hat mir, die ich große Probleme hatte, mich genau auf dem Punkt oder eben zwischen den Punkten zu bewegen, viel Frust und großen praktischen Lernstoff gegeben. Mein Empfinden und Fließen für und mit Rhythmen, deren Stolpern, klemmen, nicht können, im eigenen Körper enorm geprägt. Meinen Augen beim Beobachten der Mitschüler die „Fehler“ im Flow zu sehen gelehrt. Rückblickend nenne ich es „die Schule der Schulen“ meines Lebens.

→ Fast immer ist es nicht wirklich der Teil, der uns weh tut, den wir als Problem benennen, das ursächliche Problem. Meist ist lange vorher schon ein Teil des komplexen Systems „ausgestiegen, trödelt oder rennt, ist aus dem gemeinsamen rhythmischen Miteinander unseres Körpers gefallen. Etliche muskuläre, knöcherne, organische oder bindegewebige Nachbarn versuchen schon lange, die Störung im Ablauf des Miteinanders zu supporten, zu helfen, machen mehr, in anderem Tempo bringen das System immer weiter vom „rund laufen“ weg. Was ein Gutes hat: Unser intelligenter Körper kann sich in bestimmten Belangen erstmal gut selbst helfen. Wenn die Hilfe aber dauerhaft zu leisten ist, dann gerät über die Zeit das ganze System in Mitleidenschaft.

(c) Grit Silke Thieme

#21 – Körpersurfen im Neoprenanzug – bitte mit Landkarte!

Mein eigener Körper war nicht immer so gut in Schuss wie heute. Um zum einen besser zu verstehen, was in ihm nicht so gut funktioniert, welche Abläufe nicht rund laufen, habe ich vor etlichen Jahren einen Anatomie/Physiologie Kurs belegt. Nach einem Jahr sogar die Prüfung bestanden.

Zum Anderen fand ich es wichtig, seine Landkarte zu kennen und Orte benennen zu können, eh ich meine eigene Heilungsreise in dieses damals für mich völlig im Dunklen liegende, in meinem Fall nicht gut arbeitende, Territorium „Körper“ antrat.

Nicht zuletzt hat erst dieses Wissen mir ermöglicht, viele meiner körperbezogenen Ausbildungen auf hohem Niveau absolvieren zu können, und ist noch heute die solide Basis meines Tuns.

Ich erkläre meine heutige Arbeit gern mit allgemein bekannten technischen Vergleichen oder Bewegungsabläufen. Natürlich „hinken“ diese, lassen aber über das Motiv einen Transfer des Bildes zu. Eine der Erklärungen auf die Frage „Was machst du da eigentlich?“ beginnt mit dem Einleitungssatz: Wir Menschen bestehen zu mindestens 70 Prozent aus Flüssigkeiten – Blut, Interzellularflüssigkeit, Nervenwasser. Gefolgt von der bildhaften Beschreibung:


Wenn ich an einem Kunden arbeite, nutze ich diese Flüssigkeiten. Ich ziehe mir meinen Neoprenanzug an, greife mein Surfboard und springe rein ins Gewebe. Surfe in den Flüssigkeiten, reite das unter mir dahinschmelzende Gewebe. Egal in welcher Tiefe, egal an welcher Stelle, welchem Strudel auch immer – auf dem Weg zu und von der in Ordnung zu bringenden Stelle. Es ist wirklich eine Welle, die da zu fühlen ist, die Arbeitsstelle ist oben auf dem Wellenberg vorn kurz hinter Abbruchkante – man muss an der Stelle bleiben und mit der Welle gehen. Wenn man rausfällt, die Welle bricht, Neustart mit der nächsten Welle. Der einzige Unterschied zum Surfen, ich schaffe mir die Welle und gebe ihr die Richtung, Höhe und Geschwindigkeit.


→ Von den Zehen bis in den Kopf gibt es mehrere Milliarden mögliche Wege für die Welle in und durch unseren Körper. Da ist es gut, seine Anatomie-Hausaufgaben gemacht zu haben, genau zu wissen, wo ich in der dreidimensionalen Landkarte bin, welchen Weg ich gehe und wo ich noch hin will. Hinzu kommen noch: Das Surfen will gekonnt sein sowie das Wissen klar, warum will ich wohin surfen.

(c) Grit Silke Thieme

#20 – Digitalisierung der Körperarbeit – ist das möglich?

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche ist derzeit in aller Munde – kannst du nicht auch vieles online anbieten? Diese Frage höre ich in letzter Zeit gelegentlich, denke aber, Digitalisierung umfasst weit mehr als Onlinearbeit.

Meine kurze Antwort: Ja, könnte ich. Ich habe mit der Technik und den generellen Modalitäten beschäftigt, mich mit Kollegen ausgetauscht, die dies bereits anbieten und am Ende eine Entscheidung getroffen. Nein, ich tue es nicht.

Zum Einen sehe ich etliche meiner Kunden mit den Online-Dingen der Buchung wie Kursteilnahme und Zahlung überfordert und frustriert. Zum Anderen würde die eigentliche Arbeit eine völlig andere Qualität annehmen bei meiner Arbeitsweise eine leere und enttäuschende.
Ja sicher, generell ist Körperarbeit online machbar. Sogar in Gruppen. Ich habe noch nirgends die intensive, tiefe und feine Qualität finden können; auf der wir arbeiten. Das Niveau, auf dem ich mit euch arbeite, möchte ich aber keinesfalls absenken. Eher im Lauf der Zeit die Verfeinerung weiter steigern.

Auch in nächster Zukunft kann ich mir, mit neuen hilfreichen Algorithmen und komplexer KI (künstlicher Intelligenz) dieses anspruchsvolle Arbeitsniveau nicht online vorstellen. Es geht einfach um zu individuell-komplexe Sachverhalte, die nicht gemessen und ausgewertet werden müssen, sondern ‚einfach‘ nur verändert.

Vor der Entscheidung „Klasse oder Masse“ stehend, habe ich mich für die Klasse entschieden. Es ist der gleichzeitige Austausch aller Kursteilnehmer im Raum, der euch weiterbringt. Meine Fragen an einen Einzelnen, die alle andern plötzlich auch ihre lösende Antwort auf das eigene Muster in einem Ahaerlebnis finden lässt. Und nicht zu vergessen, die Pausen miteinander, die Verständnis füreinander, mehr Klarheit und neue Einsichten bringen.

Nicht mal eine Online-Zahlungsfunktion anbietend, weil selbst die, eine stabile Netzfunktion voraussetzt, die nicht vorausgesetzt werden kann, sofern man nicht in Großstädten lebt, habe ich meine Probleme schon mit Zoom-Meetings. Ich empfinde diese als sehr einschränkend. Digitales Zusammenarbeiten und Kommunikation ist mehr als Sprache. Sprache ist mehr als Worte – schon da ist es für die alltägliche Büro-, Forschungs- und Entwicklungsarbeit bremsend und einschränkend, wenn immer nur eine Person aktiv geschaltet ist. Wenn diese dann zum Schutz persönlicher Daten und Informationen im Netz, zusätzlich ohne Kamera arbeitet, verflacht die ganze Sache sehr schnell zu einem Gefühl von Schlangestehen und den Vordermann nur vage von hinten sehend. Oder die Bezugnahme auf den fünften Redner vor mir, obwohl die vier bereits gefolgten Redner ganz andere Themenstränge geöffnet haben. Diese Meetings sind für mich sehr ineffektiv und für ein notwendiges Mindestmaß an Kommunikation gerade ausreichend. Geht es euch da auch so?

Und dann kommt erst das Dahinterliegende, wirklich Wichtige: Ich will es kurz mit den Namen Stephen Porges (Polyvagal_Theorie) und Peter Levine (Trauma und Kommunikation) anklingen lassen. Beide weisen in ihrer Arbeit immer wieder darauf hin, Säugetiere und Menschen sind soziale Wesen, die Kontakt und Austausch in der Gruppe, Gesichtsmimik, Körpersprache, Sprachmodulation und so vieles mehr bei der Verständigung benötigen, um sich gut zu Entwickeln und gut zu Leben. Andernfalls ist eine ungestörte Kommunikation nicht möglich. Soziale Interaktionen, gesprochene Worte, die schon eine ganz einfache Kommunikation einleiten und begleiten, sind die Öffner für gute Interaktionen und ein entspanntes Gespräch. Und das zwischen allen am Gespräch oder Vortrag beteiligten. Eine völlig untergehende Kulturtechnik, wenn man sieht, wie in sozialen Netzwerken (welch unsinniges Wort für das, was da stattfindet) geliked wird.

Für mich gilt diese Online-Unmöglichkeit für das Thema Körperarbeit im Besonderen. Zuwendung, eine direkte Beziehung aufbauen und Anteilnahme sind die Grundvoraussetzung für eine Arbeit an sich selbst und das Zulassen von Veränderung auf diesem Niveau. Das eigene Eingeständnis – da ist was nicht richtig, ich will es gern ändern – dafür braucht es das getragen sein, das respektvolle miteinander, menschliche Größe und den Austausch mit Gleichgesinnten.

Unser aktuell ausgerufenes „Highspeedzeitalter mit KI“ ist sicher wunderbar für alle daran verdienenden Techkonzerne – aber seid ihr nicht auch schon durch die primitiveren Formen der KI, wie Telefoncomputer und minutenlanges Gedudel in schlechter Qualität an diversen Service-Hotlines seit Jahren genervt und vermeidet es, wo es nur geht?

→ „Offline“ ist der neue Luxus – in diesen Worten liegt des Pudels Kern, um es mit Goethes Worten auszudrücken. Man muss ja nicht immer Luxus haben, kann gern auch den neuen Standard – also Digitalangebote – nutzen. Bei mir jedoch gibt es nur Luxus-Angebote natürlich-persönlicher Intelligenz.
Tom Cruise antwortet im Film Top Gun Maverick auf die Ansage: „Ihre Art wird aussterben.“ – „Mag sein, aber nicht heute.“ In diesem Sinn, freut auf den Artikel der nächsten Woche!

(C) Grit Silke Thieme

#19 – BODY_Ritual: T’ai Chi Chuan Kurzform-Kurs Teile 1 bis 3 gemacht. Was kommt dann?

In den BODY_Ritual Kursen, die gern mehrfach besucht werden dürfen, wird immer der formelle Ablauf der jeweiligen Übungen erlernt und grob einstudiert. Im BODY_Ritual T’ai Chi Chuan Kurzform-Kurs eben das T’ai Chi. Das Wort Ritual deutet von Anfang an darauf hin, es geht um das Erlernen und dauerhafte Ausüben einer Routine. Mit der Zeit entwickelt sich daraus ein individuelles Ritual, bestenfalls jeden Morgen und Abend – im eigenen Wohlfühlbad, im Garten oder Park.

Die Erfahrung, die alle Teilnehmer zu Beginn machen: Je komplexer die Bewegungen sind, desto unbeherrschbarer erscheint der eigene Körper dem Übenden. Es genügt eben nicht, nur den Bewegungsablauf zu sehen und ihn intellektuell zu verstehen. Du brauchst viel Geduld mit dir und deinem anscheinend nicht gehorchenden Körper, der verspannt scheint, steif in Rotationen wirkt, der Kopf immer voraus – im Denken wie auch in der Kopfhaltung. Das ist die Zeit, in der man sich ungelenk, ungeschickt und sogar lächerlich fühlen kann. Darin besteht die allererste Übung: einzusehen, dass man sich unfähig fühlt und wirklich wieder ganz bei Null anfängt, um „Herr“ der eigenen Hände, Füße, Schultern und des ganzen Körpers in Bewegung, zu werden.

Nach dem Erlernen des grundlegenden Ablaufs der einzelnen Teile der Kurzform, folgt im Selbsttun zwischen den Kursen oder in individuell angesetzten Fragestunden:

  • die Vertiefung des Ablaufs bis er läuft – ohne darüber nachzudenken, was als nächstes kommt
  • die Arbeit an Atem und Stand
  • das saubere Gewichtübertragen von Schritt zu Schritt und dabei ein Gefühl für den Körperschwerpunkt
  • sich die ganze Sequenz (und das ganze Leben lang) aus dem eigenen Zentrum zu bewegen

Damit sind die Vorbedingungen erledigt, jetzt kann es richtig losgehen. Wobei die „Erledigung“ der Vorbedingungen Jahre dauern kann. Dieses Üben ist wunderbar im Buch „Vom Geist des Übens“ von Bollnow beschrieben, wenn auch heutzutage völlig aus der Zeit und dem Zeitgefühl gefallen. Das ändert aus meiner Sicht gar nichts an der tiefen Notwendigkeit der Kunst des Übens.

Nach dieser Tabula rasa wird es leichter, fließender. Und das von Übungseinheit zu Übungseinheit. Es geht und läuft – bis man merkt: „Oh, da war doch das mit dem nicht die Luft anhalten, sondern mit den Bewegungen den Atem fließen lassen. Puh, schon wieder hängt es.“ Nein, nichts hängt, der Ablauf der Sequenzen „sitzt“. Das ist ein riesiger Schritt! Herzlichen Glückwunsch!!

Für alle, die jetzt noch freudig sich selbst erforschend und frohen Mutes dabei sind, gibt es hier grob benannt, die mir bekannten Stufen der Ausführungsverfeinerung und Vertiefung des Ablaufs:

I
bisher bewegtest du dich im: groben Jing – das Erlernen der korrekten Figuren, Bewegungsabfolgen und Formen


II
dann folgt das: feine Jing – Verfeinerung der Haltungs- und Bewegungsprinzipien zur Entwicklung elastischer Kraft


III
grobes Qi – Verwandlung von Jing in Qi, wahrnehmen des Strömens der vitalen Lebenskraft Qi


IV
feines Qi – verfeinerte, differenzierte und vertiefte Wahrnehmung, Sammlung und Abgabe des Qi


V
grober Shen – Qi in Shen verwandeln, Einübung der Gedankenstille durch Konzentration auf die Übung


VI
feines Shen – sich versenken in mühelose Gedankenstille und Herzbewusstsein beim Üben


VII
Dao – innere und äußere Welt sind eins, Weisheit und Mitgefühl sind eins – mitten im Jahrmarkt des Lebens

→ Eine Lebensmeditation. Jeden Morgen und jeden Abend für 10-20 Minuten, ganz nach individuellem Zeitgefühl und aktueller Übungsqualität. Ohne Sportgeräte und besonderen Platzbedarf, überall machbar – drinnen wie draußen, bei Sonne und Regen. Viel Vergnügen!
Für Qualitätsupdates komme gern in den Wochenendkurs. Gern jedes Jahr wieder. Lebenslanges vertiefen und Einsinken in sich und tiefen inneren Frieden.

(c) Grit Silke Thieme

#18 – Zu meinen Bewegungs-Experimenten: Nicht tun sondern lassen ist das Geheimnis

Den Faden des Bewegungsexperimets letzter Woche noch einmal aufnehmend, lasst uns über das große Geheimnis dieser und aller weiteren „Übungen“ reden.
Das große Wunder der Wirksamkeit dieser Arbeit hat einen ganz kurzen Namen und ist in der heutigen Welt wirklich rar geworden. Es ist ein physikalischer Faktor, der sich seit Jahrmillionen nicht verändert hat und – wieder jeder Logik – zu einem sehr knappen Faktor geworden ist.

Er hat nichts mit Aktivität zu tun – auch nichts mit reiner Passivität. Es ist die Qualität, die entscheidet, wie wir ZEIT empfinden, wahrnehmen.
Wenn ihr immer zu viel auf der To-Do-Agenda habt, ist immer ein hoher Grundtonus – also eine hohe Anspannung – vorprogrammiert. Für die Bereitstellung dieser (wahrscheinlich zu hohen) Aktivitätsspannung verbraucht unser Körper recht viel Energie, die in dauerhafter Haltearbeit einzelner Gelenke, Muskeln und Faszienbestandteilen verschiedenster Körperbereiche mündet. Doch wir nehmen diese Haltearbeit nicht wirklich wahr, da wir ja glauben, es so zu brauchen und ohne nicht zu schaffen. Das alles mündet dann irgendwann in eingeschränkter Beweglichkeit und den typischerweise folgenden Verspannungen bis hin zu beginnenden Schmerzen.

Das können wir dann das Altern nennen und hinnehmen lernen, uns mit medizinischen Hilfsmitteln weiter im alten Spannungsmodus halten.
Oder uns auf den Weg machen, unseren eigenen Spannungsmustern auf die Schliche zu kommen. Lernen, sie loszulassen und mit der Entspannung zu leben – auch wenn das im ersten Moment unmöglich scheint. Wie soll das zu Tuende denn sonst geschafft werden, wenn ich es nicht tue?

Genau da setzen die Experimente an. Die Lösung – welch tolles Wort an dieser Stelle – liegt im körperlichen loslassen. Sich Zeit geben, in sich hinein zu schmelzen – sich nicht für seine Aufgabenliste anzuspannen.
Wirklich in sich zu spüren, dass ich ständig irgendwen anspanne, um die anstehende Aufgabe zu lösen. Und dass dies die gesamte Körperanspannung nur noch weiter verstärkt. Sowohl bei den Aufgaben der To-Do-Liste als auch in den Bewegungsexperimenten – deine körperlichen Reaktionen sind oftmals die gleichen oder gar die selben! Es sind gut gelernte und eingeschliffene Reaktionsketten, über Jahre kultiviert und verfeinert. Ach wie schön haben es doch die Kinder, so unbeschwert. Ja, stimmt und nein, stimmt nicht. Ein Kind reagiert noch nicht mit den fein ausgearbeiteten Routinen – die erarbeitet es sich erst mit den Jahren. Genau wie Du.

Du kannst lernen, wahrzunehmen, wer alles in dir in sofortiger Anspannung ist, sobald du an das viele zu tun denkst. Und du kannst lernen, die zu erledigende Liste in Frieden bei dir zu haben und zu lernen, nein, die Welt geht nicht unter, wenn nicht alles abgearbeitet ist.
Die Aufgaben warten auf euch, versprochen! Und es klingt wie Zauberei, nach einer Experimentiereinheit ist man voller Elan und Kraft, kann sich der nächsten Aufgabe völlig erfrischt widmen. Ein Denken an die ganze „offene“ Liste würde jedoch wieder zum Systemabsturz durch Überforderung führen. Also, ein Schritt nach dem anderen, mit Pausen zum Regenerieren des Systems.

Pausen. Noch so ein anachronistisches Wort, das an dieser Stelle aber Sinn stiftet. Was ist die Qualität einer Pause? Schnell ein paar Telefonate nebenbei? Noch schnell dies oder das besorgen, ehe die Arbeit weitergeht? Das ist keine Pause für unser Nervensystem, da findet kein Entspannen und erst recht keine neue Energiebereitstellung statt. Wer möchte, kann es mit einem der Bewegungs-Experimente in der Pause versuchen. Am besten vor dem Essen. Da ist euer System dann gut auf Nahrungsaufnahme und Verdauung vorbereitet.

So, und was ist nun das oben angekündigte große Geheimnis des Experiments/der Experimente? Ganz einfach: jede einzelne Übung kann immer wieder getan werden. Beim Wiederholen wirst du dasselbe Wohlbehagen plus noch etwas Neues finden. Du wirst als anderer Mensch in das Experiment einsteigen, mit den bereits gemachten Erfahrungen, dein Körper wird mit neuer Tiefe antworten – keine mechanische Wiederholung, es werden frische sensorische Antworten kommen. Jedes Mal wieder.

→ Die Qualität der Zeit während der Übungen könnte man gut mit wohltuendem Müßiggang für sich selbst beschreiben. Es ist kein gedankliches Wegdriften, kein abwarten, bis die Übungszeit rum ist, um in die vielen noch zu erledigenden To Do’s des Tages zu springen. Es ist ein tiefes Loslassen der unbewussten Anspannungen, eine Erfrischung, die uns wieder klarer denken und bewegen lässt – jenseits unserer eingefahrenen Muster.

(C) Grit Silke Thieme