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#20 – Digitalisierung der Körperarbeit – ist das möglich?

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche ist derzeit in aller Munde – kannst du nicht auch vieles online anbieten? Diese Frage höre ich in letzter Zeit gelegentlich, denke aber, Digitalisierung umfasst weit mehr als Onlinearbeit.

Meine kurze Antwort: Ja, könnte ich. Ich habe mit der Technik und den generellen Modalitäten beschäftigt, mich mit Kollegen ausgetauscht, die dies bereits anbieten und am Ende eine Entscheidung getroffen. Nein, ich tue es nicht.

Zum Einen sehe ich etliche meiner Kunden mit den Online-Dingen der Buchung wie Kursteilnahme und Zahlung überfordert und frustriert. Zum Anderen würde die eigentliche Arbeit eine völlig andere Qualität annehmen bei meiner Arbeitsweise eine leere und enttäuschende.
Ja sicher, generell ist Körperarbeit online machbar. Sogar in Gruppen. Ich habe noch nirgends die intensive, tiefe und feine Qualität finden können; auf der wir arbeiten. Das Niveau, auf dem ich mit euch arbeite, möchte ich aber keinesfalls absenken. Eher im Lauf der Zeit die Verfeinerung weiter steigern.

Auch in nächster Zukunft kann ich mir, mit neuen hilfreichen Algorithmen und komplexer KI (künstlicher Intelligenz) dieses anspruchsvolle Arbeitsniveau nicht online vorstellen. Es geht einfach um zu individuell-komplexe Sachverhalte, die nicht gemessen und ausgewertet werden müssen, sondern ‚einfach‘ nur verändert.

Vor der Entscheidung „Klasse oder Masse“ stehend, habe ich mich für die Klasse entschieden. Es ist der gleichzeitige Austausch aller Kursteilnehmer im Raum, der euch weiterbringt. Meine Fragen an einen Einzelnen, die alle andern plötzlich auch ihre lösende Antwort auf das eigene Muster in einem Ahaerlebnis finden lässt. Und nicht zu vergessen, die Pausen miteinander, die Verständnis füreinander, mehr Klarheit und neue Einsichten bringen.

Nicht mal eine Online-Zahlungsfunktion anbietend, weil selbst die, eine stabile Netzfunktion voraussetzt, die nicht vorausgesetzt werden kann, sofern man nicht in Großstädten lebt, habe ich meine Probleme schon mit Zoom-Meetings. Ich empfinde diese als sehr einschränkend. Digitales Zusammenarbeiten und Kommunikation ist mehr als Sprache. Sprache ist mehr als Worte – schon da ist es für die alltägliche Büro-, Forschungs- und Entwicklungsarbeit bremsend und einschränkend, wenn immer nur eine Person aktiv geschaltet ist. Wenn diese dann zum Schutz persönlicher Daten und Informationen im Netz, zusätzlich ohne Kamera arbeitet, verflacht die ganze Sache sehr schnell zu einem Gefühl von Schlangestehen und den Vordermann nur vage von hinten sehend. Oder die Bezugnahme auf den fünften Redner vor mir, obwohl die vier bereits gefolgten Redner ganz andere Themenstränge geöffnet haben. Diese Meetings sind für mich sehr ineffektiv und für ein notwendiges Mindestmaß an Kommunikation gerade ausreichend. Geht es euch da auch so?

Und dann kommt erst das Dahinterliegende, wirklich Wichtige: Ich will es kurz mit den Namen Stephen Porges (Polyvagal_Theorie) und Peter Levine (Trauma und Kommunikation) anklingen lassen. Beide weisen in ihrer Arbeit immer wieder darauf hin, Säugetiere und Menschen sind soziale Wesen, die Kontakt und Austausch in der Gruppe, Gesichtsmimik, Körpersprache, Sprachmodulation und so vieles mehr bei der Verständigung benötigen, um sich gut zu Entwickeln und gut zu Leben. Andernfalls ist eine ungestörte Kommunikation nicht möglich. Soziale Interaktionen, gesprochene Worte, die schon eine ganz einfache Kommunikation einleiten und begleiten, sind die Öffner für gute Interaktionen und ein entspanntes Gespräch. Und das zwischen allen am Gespräch oder Vortrag beteiligten. Eine völlig untergehende Kulturtechnik, wenn man sieht, wie in sozialen Netzwerken (welch unsinniges Wort für das, was da stattfindet) geliked wird.

Für mich gilt diese Online-Unmöglichkeit für das Thema Körperarbeit im Besonderen. Zuwendung, eine direkte Beziehung aufbauen und Anteilnahme sind die Grundvoraussetzung für eine Arbeit an sich selbst und das Zulassen von Veränderung auf diesem Niveau. Das eigene Eingeständnis – da ist was nicht richtig, ich will es gern ändern – dafür braucht es das getragen sein, das respektvolle miteinander, menschliche Größe und den Austausch mit Gleichgesinnten.

Unser aktuell ausgerufenes „Highspeedzeitalter mit KI“ ist sicher wunderbar für alle daran verdienenden Techkonzerne – aber seid ihr nicht auch schon durch die primitiveren Formen der KI, wie Telefoncomputer und minutenlanges Gedudel in schlechter Qualität an diversen Service-Hotlines seit Jahren genervt und vermeidet es, wo es nur geht?

→ „Offline“ ist der neue Luxus – in diesen Worten liegt des Pudels Kern, um es mit Goethes Worten auszudrücken. Man muss ja nicht immer Luxus haben, kann gern auch den neuen Standard – also Digitalangebote – nutzen. Bei mir jedoch gibt es nur Luxus-Angebote natürlich-persönlicher Intelligenz.
Tom Cruise antwortet im Film Top Gun Maverick auf die Ansage: „Ihre Art wird aussterben.“ – „Mag sein, aber nicht heute.“ In diesem Sinn, freut auf den Artikel der nächsten Woche!

(C) Grit Silke Thieme