#12 – Tutu (Tütü) für alle? Aber ja!
Diese Woche will ich der berichteten Tanztrainingserfahrung der letzten Woche gleich noch eine anhängen. Es wird sehr speziell und tüllig – aber toll!
Ich hatte mich zu einem Kurs für Körperorganisation beim klassischen Tanz angemeldet – wie immer mit Praxis. Mir kann immer nur die eigene Praxis verdeutlichen, was stimmig ist, welcher Körperpart noch mitmachen muss und welcher eher loslassen sollte. Also, nichts wie rein ins Vergnügen.
Womit ich nicht gerechnet hatte: Tutu-Zwang. Was soll es nützen, so einen doofen Tanz-Tellerrock zu tragen? Der steht an der Hüfte waagerecht ab, das behindert doch, ist ungemütlich und kratzt sicher. Was für für ein Blödsinn. Ich kann nicht mal Spitze anziehen, trage nie Strumpfhosen und dann soll ich so ein Ding tragen? Das werden wir ja noch sehen. Ich mach mich doch nicht zum Affen. Erstens habe ich keins, zweitens dies, drittens das. Ich habe mindestens fünfzig tolle Ausreden in meinem Kopf gehabt. Am Ende des Kurses stand ich, sehr dankbar für die Tutu-Erfahrung, glücklich strahlend im Raum.
Was war passiert? Mit einem Tutu kann man vieles erreichen: Eleganz; optisch noch längere Beine, als Spitzentanzschuhe eh schon machen; Bewegungsfreiheit für die dann besser zu sehende Beinarbeit. Und genau das, wofür dieser Kurs konzipiert war: ein tiefes inneres Verständnis für die Organisation des eigenen Körpers bekommen.
Unser Körper hat ein Achsenskelett, was aus Füßen, Beine, Hüften, Wirbelsäule und Kopf gebildet wird und einen Schultergürtel mit den Armen. Aus Sicht der Körperorganisation sind das zwei verschiedene Systeme, die gut separat angesprochen werden können. Das Achsenskelett ist für die Aufrichtung zuständig, die Schultern und Arme können bei entspannter Aufrichtung einfach auf dem Oberkörper und seinen Rippen ruhen. Haben folglich eher eine sinkende Qualität, hingegen das Achsenskelett eine nach oben strebende Ausrichtung.
Nun haben wir zwei Arme und Schultern, die nur an den Schlüsselbeinen in der Brustmitte knöchern mit dem Achsenskelett verbunden sind, der Hauptteil ist rein muskulär und faszial verbunden. Das gibt die Möglichkeit, sehr viel über eine funktionale – also willentliche – Einflussnahme zu arbeiten oder auch einfach hängen und passieren zu lassen.
Stell dir nun einen ein wenig unter deinem Bauchnabel sitzenden quer in den Raum rausstehenden Rock vor. Wohin mit den Armen ellenbogenabwärts?
Hm, da hilft nur Körperspannung weiter. Und sich im Achsenskelett nicht in die Gelenke zu setzen – wie letzte Woche in #11 beschrieben. Wenn dann noch die Schultergelenke leicht nach hinten sinken dürfen, dabei die Muskulatur zwischen den Schulterblättern zu arbeiten beginnt, bringt das die Arme fast von allein in eine gute und lockere Position über dem Tutu. Ein von mir völlig unerwarteter Effekt, der sich mit etwas Übung und Routine sehr schnell als alltagstauglich herausgestellt hat. Dass diese innere Aktivität gleichzeitig wie von selbst für eine Aufrichtung im Achsenskelett sorgt, gab dem Wort Schultergürtel eine völlig neue Dimension. Ja, es ist deutlich spürbar ein Gürtel. Wenn die rechte Seite, also der rechte Arm nach vorn oder hinten geht – fällt der linke nicht einfach ‚runter‘, er bewegt sich entsprechend dem Gleichgewicht in eine entgegengesetzte Ausgleichsposition.
Ich liebe diese Kursstunden bis heute innig. Da kam so viel Wissen in mich, was schon angelegt war – aber never ever aktiv geschaltet. Unglaublich. Alles so hochkomplex und doch mit Freude, Spaß, viel Lachen und Tutu so einfach zu entdecken!
Eine ähnliche Geschichte kann ich auch über Drehtanztraining mit Sufi-Rock erzählen. Der in diesem Fall lange und weite Rock ändert auch dort für mich alles. Zu Beginn hängt er recht schwer um die Beine, fängt an, mit zunehmendem Tempo zu steigen und wird ein weit in den Raum reichender flacher Teller, in dessen Zentrum ich zur Rotationsachse werde. Gefühle von Zentriertheit und endloser Ruhe stellen sich hier, trotz der schnellen Drehungen, bei mir ein. Ohne Rock habe ich diesen Effekt nicht, bin aber auch keine Meisterin des Drehtanzes. War einfach neugierig genug, es wissen zu wollen.
→ Bleibt neugierig. Alles, was wir denken, entspringt dem, was wir bisher erfahren haben. Versucht Neues, bleibt spielerisch offen. Probiert, bei sich ergebender Gelegenheit, gern ein Tutu an und denkt an diesen Artikel. Vergesst all die Klischees über dieses und jedes (andere Kleidungsstück).
(c) Grit Silke Thieme