#4 – Kommunikation und autonomes Nervensystem – gern atypisch
Kommunikation. Ok, klar, lass uns reden.
Wozu brauchen wir das autonome Nervensystem dabei? Reichen Worte nicht? Warum alles kompliziert machen?
Ganz einfach: Unser Körper quasselt den ganzen Tag, die ganze Nacht, einfach ununterbrochen auf vielen Kanälen. Ganz ohne Worte. Blicke, Gesten, Körperhaltungen, Rhythmen, Präsenz – er verhält sich ständig zu seiner Umgebung, unabhängig von einem Gespräch, von einer anwesenden Person. Er spannt an, entspannt, lässt locker in allen nur denkbaren Varianten und Möglichkeiten.
Diese Spannungsregulation passiert entsprechend unserer gemachten und abgespeicherten Erfahrungen. Bewusst und noch viel mehr unbewusst. Das autonome Nervensystem ist immer dabei, immer wach. Arbeitet still vor sich hin, reguliert unsere komplexen Körperfunktionen, auch wenn wir schlafen.
Typischerweise haben wir im Laufe unseres Lebens bestimmte Muster und Strukturen entwickelt, mit denen wir gut durch unser Leben kommen. Bestimmte Abläufe, bestimmte Speisen, bestimmte Gewohnheiten – die Liste ist lang. Das gibt uns im besten Fall das Gefühl: alles klar, alles normal, alles unter Kontrolle, kenn ich.
Mit der Zeit lernen wir, auch unangenehme Sachen und Dinge mit bestimmten Taktiken gut zu meistern und erarbeiten uns auch da klasse Muster fürs Umschiffen. Puh, geschafft, entspannen. Nix mehr unangenehm, einfach unbewusste Routine und wird erledigt, null Stress.
Genau darin liegt die Krux. Diese Muster werden in unserem Nervensystem zu Autobahnen. Gut und sehr gut ausgebaut, oft und routiniert von uns befahren. Wir lesen keine Straßenschilder mehr und düsen dahin. Auch wenn sich die Gegebenheiten, die Umgebung neben der Autobahn, Tempolimits und Abfahrten ändern. Hat doch immer gut gepasst. Unsere Umgebung und deren ständige Veränderung nehmen wir düsend nicht mehr wahr, sind in Gedanken bei dieser und jener Aufgabe, beim Hörspiel – also irgendwo im Kopf und seinem Kino. Unsere Muster funktionieren immer besser, unsere Reaktionen werden damit immer schneller und auch enger. Ja und? Wo ist das Problem? Ist doch effizient, oder?
Wir sind nicht mehr im wirklichen Kontakt mit uns, mit der Welt und dem Boden unter unseren Füßen. Unser autonomes Nervensystem schon. Unser willentlich-logisches System hat seinen eigenen Plan und seine routinierten Abarbeitungsschleifen entwickelt. Beide arbeiten entkoppelt vor sich hin. Haben ganz schön zu tun, in diesem Zustand die reale Welt für uns zu zusammenzuhalten. Das kostet Kraft, Energie, Anstrengung, doch die bemerken wir selten als solche. Stattdessen reagieren wir mit unserer individuellen Schwachstelle. Wie auch immer ein introvertierter, extrovertierter oder in sich ruhender Mensch auf diese körperlich zunehmende Kraftanstrengung reagiert. Mit Krankheit, Dauerspannung, Dampfablassen, sich Zurückziehen…
Wie wäre es alternativ mit Achtspuriger-Autobahn-Mustervermeidung? Landstraßen sind ok, zweispurige Autobahnen auch. Hier mal acht Spuren, dort vielleicht nur drei. Und gelegentlich ein neuer Trampelpfad? Schon das wäre mehr geistige Wachheit und Offenheit.
Wie wäre es mit Wahrnehmen lernen; was sagt mir mein eigenes Nervensystem in dieser Situation? Warum weiche ich zurück? Was stört mich? Was wäre mir angenehmer? Was ließe mich in dieser Situation körperlich entspannter stehen, sitzen, gehen, liegen? Was bräuchte mein Kopf, um sich wohler zu fühlen?
→ Wenn du die Signale deines autonomen Nervensystems hören lernst, und mit bewussten Entscheidungen in bestimmten Situationen ein „ist angekommen, wir arbeiten dran“-Feedback geben könntest, wäre das nicht viel entspannter? Würde das nicht Stress vermeiden? Was es auf alle Fälle ist: ein Traum für dein Nervensystem. Und, es ist heutzutage ein atypisches Verhalten, welches dein Körper nach etwas Übung mit Tiefenentspannung belohnt.
© Grit Silke Thieme