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# 42 – Einstein hier – es hat geklappt. Erste Meldung vom Segeltörn mit Yve und Tom

von: Einstein

Hallo treuer Leser, sei gegrüßt. Du hast hergefunden – Dank deiner Neugier.
Das freut mich. Neugier ist gut, sie zeigt dir deine Interessen.

Mich wiederum findest du mich hin- und hergerissen vor.
Was soll ich dir schreiben? Eine Nachricht über Yve und Tom?
Nein, nein. Viel lieber schreibe ich dir vom Zauber des Segelns.

Der magische Zauber des Segelns tritt in der Zwischenwelt von Land und Wasser in mich ein. Jedes Mal wieder. Er hat mich als Kind in seinen Bann gezogen, seit ich das erste Mal auf den Masuren ein Segelboot betrat. Obwohl es nicht einmal ablegte, wie mir später erzählt wurde.

Damals betrat ich eine mir völlig neue Welt. Jenseits meiner langen, streng geregelten Tage als Sohn einer Familie ‚von‘ Rang. Schon die aufwändigen Vorbereitungen hatten es in sich und steigerten die Vorfreude von Tag zu Tag. Ich ernte, die Listen mit den einzupackenden Dingen anzulegen und die noch zu besorgenden, die zu erledigenden Dinge und Aufgaben nicht zu vergessen. Wem konnte ich den Hühnerstalldienst anvertrauen? Wer würde am Bach nach Schwemmgut schauen? Was war wichtig mitzunehmen? Und letztendlich das große Finale: Das Packen des Seesacks mit den notwendigen Sachen, die gleich an Bord in der engen Koje verräumt werden mussten.

So auch diesmal: Die wenigen Sachen sind verstaut, der Seesack ist zusammengerollt als Kissen bereit, meine zwei Kaschmirdecken sind als Schlafkokon gefaltet, fertig. Kein Gut zu verwalten, kein Haushalt zu betun, kein vollendet gedeckter Tisch zu jeder Mahlzeit. Jedes Mal erfasst mich dieses Glück der Freiheit ‚von‘ neuem.

In meinem Glücksrausch auf See verrate ich dir das, mir damals den Namen Einstein verleihende, Ereignis. Es ist eng mit dem Segeln verbunden. Und DER Einstein, soll auch ein aktiver Segler und bei Interesse ein guter Beobachter gewesen sein.
Also, ich beobachtete damals während des Einziehens in meine kleine Kajüte, dass die getaktete Zeit einfach so aussetzt. Während sich gleichzeitig der Raum – an sich sehr begrenzt in einer Kajüte – ins Unendliche weitet. Ein absolut unfassbares, unerforschtes Phänomen, bis heute weitgehend unbekannt geblieben. Es gibt nur noch helle und dunkle Tageszeiten, gelegentlich etwas zu tun, in und mit den Elementen – und dem knurrenden Magen. Ich habe meinen Eltern oft davon erzählt, das die Zeit auf dem Boot so anders war, so endlos und doch vergingen die Tage wie im Flug. Ich glaube bis heute, ich konnte mich nicht verständlich machen – zu meinem Leid und Stolz. Sie riefen mich seit dem Einstein. Was die Runde machte und mich bis heute begleitet. Mein Ego fühlte sich damals für lange Zeit – nachdem ich nachgelesen und geforscht hatte, wer DER Einstein war – sehr geschmeichelt.

Beobachten, Bestaunen, die großen Zusammenhänge besser respektieren lernen, das ist bis heute mein wichtigstes Tun an Bord. Während dieser Bootsstunden bin ich am dichtesten bei mir.
Gischt, perlmuttschimmerndes Dunstgewaber, dass sich schlagartig auflöst, oder dichter Nebel werden kann. Sonnenstrahlen, die den Nebel langsam zerteilen, durchdringen. Dann taucht Welt auf, formt sich. Was ist als Erstes zu sehen? Ein Küstenverlauf?  Das Schiff aus dem Radar? Wie sieht es aus?
Oder, im hinzunehmenden Kontrastprogramm: starker Regen, aufkommender Sturm, alle Planungen sind über den Haufen geworfen. Wo ist der sichere Hafen? Wo liegt die Route zum Umfahren des Wetters?

Mit jedem ersten Fußaufsetzen aufs Deck werde ich zum Entdecker der Umgebung und meiner selbst. Hebe den Kopf, schaue in die Weite, die Zeit wird dickflüssig, beginnt still zu stehen. Blickwinkel und Perspektiven bewegen sich, werden schwankend.
Ich bin der der kleine, seine verpflichtungsfreie Zeit genießende Junge auf den Masuren und am Pommerschen Meer. Der das ‚von‘ im Namen hat – und zugleich der bejahrte Mann, der sich dieses Wörtchens entledigt hat und sein eigenes, selbstbestimmtes Leben führt.
Bis heute weiß ich diese erfrischende, für mich einzig wahre und mögliche Art unterwegs zu sein, zu leben, sehr zu schätzen. Selbst die kalten, nassen, dunklen Nächte auf See, ohne das Strahlen und die endlose Weite des Firnaments, tragen diesen Segelzauber tief in sich.

Ich bin gespannt, ob Yve und Tom, ob ihr mir in diese Welt folgen können könnt. Teilen wir mittlerweile schon einige Welten, jeder aus seinen eigenen Universen kommend.

Einen Sport oder Wettkampf gegen die Zeit oder die Elemente können sie jedenfalls nicht draus machen. Da habe ich vorgesorgt. In weiser Voraussicht habe ich den Großsegler mit über einhundert Leuten an Bord gewählt. Hier gibt es nur: Einführung in althergebrachte, klassische Segelroutinen und Einfügen in die Gegebenheiten, statt fix optimierte Grünschnabel-Regatta und Championship-Ambitionen.
Fast möchte ich mir zufrieden auf die Schulter klopfen – aber Schluss für diesmal, aus der Kombüse weht ein lockender Duft herüber.

Ahoi Landratte, drück uns die Daumen für gutes Gelingen!
Du hörst nochmal von mir,
Einstein

Foto: ALEXANDER von HUMBOLDT II